Komplexe Ziele erreichen oder: Wann darf ich meinen Vogel unter dem Flügel berühren?

Hallo!

Erst mal frohes neues Jahr Euch allen!

Hier mal ein paar winterlicher Impressionen.

Da es draußen kalt ist, haben wir Zeit, innen oder beim Autokratzen 😉 über unsere Trainingspläne, zum Beispiel die für komplexe Übungen, etwas nachzudenken!

Viele Clickertrainer fangen erst mal begeistert an, bringen ihren Tieren Targetstickübungen und kleinere Kunststücke oder wichtige “Disziplin-Übungen” (nichts vom Tisch stehlen, am Platz bleiben) bei.

Dann schauen sie sich andere Tiere anderer Trainer an und glauben an den XY-Flüsterer, weil diese Tiere ja sooo ein gutes Verhältnis zu ihrem Trainer haben, das und das mit sich machen lasse, was das eigene Tier niiieeeee….

Oft wird diese Illusion von den “erfolgreichen” Trainern genährt – einige wollen ja auch Geld verdienen mit ihrem Können und haben Vorteile, wenn die Kunden glauben, dass NUR sie das und das wieder regeln können -und von den Clickerneulingen unbewusst als so wahr angenommen, dass dieses auch gar nicht mehr versuchen, mit ihren Tiere mehr zu erreichen.

Warum ist das so?

Einerseits haben wohl viele Menschen eingeschränkte Vorstellungen davon, was eigentlich mit dem eigenen Tier möglich ist.
Das, was man bei anderen sieht, wird gern als “gute Kommunikation”, “Draht zu dem Tier” oder auch mystischer als etwas gesehen, das NUR bei diesem Tier mit diesem Trainer zu erreichen ist (da sind wir wieder beim XY-Flüsterer).
Man selbst versucht es dann nicht, denn erstens ist man ja kein perfekter Trainer, hat keinen besonderen, über das normale Maß hinausgehenden – man könnte auch sagen: “übersinnlichen” – Kontakt zu seinem Tier und dann…. hat man ja SEIN Tier.
Vielleicht ist das zu alt, zu dumm, zu “normal”, zu stur, zu was-auch-immer, um die gleiche Leistung wie das Vorzeigetier zu erreichen.
Alles zusammen genommen, sollte man es gar nicht erst versuchen, es klappt ja doch nicht.

Tatsächlich haben solche Vorzeigetrainer mit Vorzeigetieren einige Geheimnisse:
– eine gute Planung des Zielverhaltens: Was soll das Tier können, genau, wann? => einen guten Lehrplan, bei dem einfache Übungen schwierigen Übungen vorausgehen

– eine gute Planung der Einzelschritte, die das Tier auf dem Weg zum Ziel können muss => einen sehr detaillierten Trainingsplan, der alle möglichen und kleinsten Teilschrittchen enthält
– eine genaue Vorstellung davon, wie man das komplexe Verhalten durch Einüben vieler kleiner Teilschritte und größerer Zwischenschritte erreichen kann

– viel Zeit auf dem Weg zum Ziel

– viele geplante Wiederholungen

– das Einüben eines Folgeschrittes wird erst begonnen, wenn der vorherige Schritt problemlos sitzt

– zwischendurch wird bei Teilschritten der Clkicker ausgeschlichen, um das Verhalten zu festigen.

Als Beispiel hier mal die Frage, was ich tun muss, um meinen Wellensittich dereinst unter dem Flügel berühren zu können (etwa, um dort eine Wunde zu begutachten oder zu versorgen).

Wahlweise erst Annäherung mit der Hand.

Die wird Schritt für Schritt immer wieder geübt, bis der Vogel die Hand in seiner Nähe und das Näherkommen bzw. Bewegen der Hand toleriert, ohne Anzeichen von Unwohlsein zu zeigen.

Das kann durchaus auch einige Wochen oder länger dauern, wenn man mit einem sehr scheuen Vogel anfängt.

Als nächsten Schritt kann man entweder das Näherkommen der Hand üben, das Halten der Hand in der Nähe des Vogels, das Berühren an verschiedenen Körperstellen –  immer nur dann und solange der Vogel sich dabei wohl fühlt, sonst geht man wieder zu einem früheren Übungsschritt über -, das längere Halten der Hand an den einzelnen Körperstellen.

DAS kann durchaus sehr lange, über ein Jahr dauern, schließlich berühren sich die meistesn Vögel auch gegenseitig nicht am Körper, außer am Kopf.

(Es gibt Ausnahmen, zum Beispiel große Aras, mit denen man auch sehr schnell mal richtig schmusen kann, wenn man weiß, wie man dabei vorgehen muss, siehe hier.)

Hat man das ausreichend geübt, so dass der Vogel es in verschiedenen Situationen toleriert, vielleicht auch genießt – oft am Kopf, bzw. an Stellen, die er selbst nicht erreichen kann – übt man parallel in einer anderen Sitzung die Shaping-(Verhaltensformungs-)übung “Flügel hoch”, also clickt jeden Ansatz des Flügelhebens, so lange, bis der Vogel das regelmäßig macht.

Dann verzögert man den Click und formt so das Halten der angehobenen Flügel.

Wenn auch das klappt, fügt man das Kommando hinzu.

Dies übt man ausgiebig und schleicht dabei den Clicker aus.

Nun muss man beide Übungen zusammen setzten.

Dabei sollte man zum einen das Flügelheben ausreichend ausdehnen, ohne den Vogel zu überlasten – er muss die gehobenen Flügel einige Zeit lang halten – und zum anderen dabei einen Annäherungsübung machen.

Obwohl der Vogel jetzt schon die Annäherung der Hand kennt, ist diese Übung, Annäherung mit gehobenen Flügeln, noch mal etwas ganz Neues für ihn und erfordert entsprechend Zeit.

Es gibt wieder zwei Möglichkeiten: Das Flgelheben-Kommando geben und dann kleine Bewegungen mit der Hand, bis hin zum Näherkommen, machen, oder umgekehrt, mit der Hand näher kommen und dann das Flügelhebenkommando geben.

Klappt beides parallel, was auch wieder einige Zeit dauern kann, muss man wieder lnagsam, langsam die Hand immer näher bringen und clicken, so lange dabei der Flgel noch oben ist.

Wenn die Hand beim Flügelheben ganz nah an den gehobenen Flügel darf, dehnt man diese Zeit etwas aus und schleicht den Clicker aus, so dass die Übung für den Vogel zur Selbstverständlichkeit wird.

Dann kommt man direkt an den Vogelkörper, ohne ihn zu berühren, dehnt diese Zeit wieder aus, schleicht auch hier den Clicker aus.

Jetzt kann man versuchen, den Vogel beim Flügelheben mal eine SEkunde oder weniger zu berühren, grooooßes Lob, grooooßer Jackpot.

Üben, üben, üben, dann mal etwas länger versuchen usw.

Ist das geschafft, macht man das Gleiche…. mit dem anderen Flügel!

Ist auch das geschafft, kann man es mal parallel versuchen.

Die Zeit verlängern.

Mal etwas in der Hand halten – ACHTUNG, das ist wieder eine GANZ neune Übung und dauert entsprechend lange. (Eventuell hält man ja im Notfall ein Wattestäbchen etc. in der Hand oder hat Salbe am Finger oder auf dem Wattestäbchen.)

Das alles wird, wie man sich denken kann, eine durchgeplante Langzeitübung sein und nicht innerhalb weniger Tage oder gar Wochen zu erreichen sein, es sei denn, man hätte einen schon gut trainierten oder sehr zahmen Vogel, der sich anfassen lässt und schon die Flügelheben-Übung kann.

Auf dem Weg zum Ziel gewinnt man aber ein unglaubliches Vertrauen des Vogels!

Um solche komplexen Übungen zu erreichen, muss man sie in Einzelschritte unterteilen, jeden Schritt planen, überlegen, wie man mit welchem Tier am besten vorgeht,jeden Tag oder alle paar Tage mal kurze Zeit üben, immer mal wieder in diversen Situationen gelernte TEilschritte abfragen, immer mal wieder den Click etwas verzögern, um zu einem neuen Teilschritt zu kommen.

Es lohnt sich aber auf lange Sicht, solche komplexen Übungen anzugehen, da gerade bei Notfällen das Vertrauen zum Menschen und zu den notwendigen Maßnahmen (hier etwa Wundversorgung) dem Tier Stress und Ängst erspart, so dass es seine Engerie in die Heilung und nicht in das Vermeiden von notwendigen Hilfemaßnahmen oder Medikationen stecken kann.

Alles Gute auch zum neuen Jahr wünscht Euch Eure

Clicker-Fidi

About fidi987

Ich clickere seit ein paar Jahren mit meinen Wellensittichen. Anfangs waren das Calsey, damals 9 Jahre und bissig und Twitch, damals 2 Jahre und scheu bis panisch. Als Calsey mit 10 Jahren starb kam Keisha-May, und als leider Twitch krankheitsbedingt mit nur 3 Jahren starb, zog Fiete bei uns ein. Anfangs war mein Clickertraining ein reines Chaos, weil mir einige Grundprinzipien noch nicht klar waren wie das Erstellen von Trainingsplänen, das Trainieren nur eines Verhaltens zur Zeit, wie man selbstverständlich erscheinende Handlungen den Vögeln klar macht (warten usw.). Auch in einigen Foren fand ich nur bedingt Hilfe. Vieles wurde auch gar nicht erst erklärt, bspw. dass ein Trainingsparcours immer die gleiche Strecke ist (man denkt an einen Parcours im Pferdesport; der ist immer neu für das Pferd). Auch wurden mir anfangs nur zwei Buchtitel genannt, von denen eines auch noch negativ bewertet wurde. Vorbilder und Trainingspläne, an denen man sich orientieren konnte und Berichte vom Training anderer gab es also nur sporadisch in Foren zu finden. Ich suchte daraufhin gezielter nach Büchern, Internetseiten und Berichten von Clickertrainern, auch Videos, und lernte, wenn auch nicht speziell für Vögel, wie man so ein Training aufbaut, wie man Probleme löst, wie man mit dem Tier kommuniziert (durch den Clicker), wie man auf neue Übungsideen kommen kann und diese umsetzten. Dieses Wissen möchte ich hier gerne mit Euch teilen, und natürlich möchte ich auch gern von Trainingserfolgen anderer Clickertrainer erfahren.
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